Spieltag: FC St. Pauli - 1.FC Heidenheim

Der Kontrast könnte nicht größer sein: Freitag ein Spiel gegen die Marketingmannschaft, jetzt das Spiel gegen einen Verein, der den Begriff „Kult“ in der zweiten Liga mitprägt – den FC St. Pauli von 1910 e.V.

Wir denken zurück in unser erstes Jahr in der zweiten Liga. Es war der 08.11.2014, ein Datum, das sich fest in das Gedächtnis des FCH eingebrannt hat:
- der erste Auswärtssieg für den 1. FC Heidenheim, 3:0 nach Toren von 2x Niederlechner und 1x Leipertz
- die verletzungsbedingte Auswechslung unseres Zimbo (Gehirnerschütterung und ein Schleudertrauma). Bei der MRT-Untersuchung kommt zufällig heraus, dass Zimbo einen Hirntumor zwischen Kleinhirn und Hirnstamm hat. Dieser konnte operativ entfernt werden. Im Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (F.A.Z.) nennt Zimmermann das Foul heute eine "glückliche Fügung des Schicksals". Ohne den Befund wäre der Tumor sicherlich lebensbedrohlich geworden. "Ich empfinde große Dankbarkeit, dass ich Glück hatte, dass mir der Spieler gegen den Kopf getreten hat."

Und jetzt geht es wieder gegen St. Pauli, die Voraussetzungen sind heute aber komplett anders. Während im letzten Jahr die Kiezkicker mit dem Rücken zur Wand standen, steht diesmal bereits ein ansehnliches Punkteguthaben auf dem Konto. So kann man wirklich von einem Spitzenspiel reden: Platz 3 gegen Platz 5 treten gegeneinander an.

Was soll man über unseren Gegner schreiben?
Während in manchen Vereinen gemeint wird, dass Politik im Sport nichts zu suchen habe, wird auf St. Pauli von einem nennenswerten Teil der Fanszene und des Vereins anders gedacht.
So verzichtet der Verein am letzten Spieltag auf das Logo mit der B.ld-Aktion „Wir helfen - #refugeeswelcome“ anzutreten. Dass der B.ld-Chef dann gegen St. Pauli twittert „Beim FC St. Pauli sind #refugeesnotwelcome" und "Kein Herz für Flüchtlinge: Schade eigentlich, FC St. Pauli!“ zeigt, dass er sich nicht ansatzweise mit dem Verein beschäftigt hat und nur auf Schlagzeilen aus ist.
Der Geschäftsführer meint zu der Weigerung sich bei der Aktion zu beteiligen: „Der FC St. Pauli steht für eine Willkommenskultur und wir handeln damit auf eine Art und Weise, die unseren Klub schon seit Jahrzehnten ausmacht. Wir leisten ganz praktische und direkte Hilfe dort, wo sie gebraucht wird."

So engagieren sich Verein und Fans beispielsweise mit der Aktion „Refugees welcome – Karoviertel Hamburg“. Es werden Spenden gesammelt, um Wäsche und Hygieneartikel zu kaufen, Deutschunterricht anzubieten uvm.
Weitere Aktionen sind zum Beispiel „Kiezkick – Fussball der Kulturen“, bei dem sich bis zu 60 Kinder und Jugendlicher verschiedenster Kulturkreise zusammenfinden, um gemeinsam Fussball zu spielen oder „Laut gegen Nazis“, in dem Initiativen und Bündnisse gegen rechts bei der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt werden, Netzwerke gebildet und kontinuierliche Beratung und Begleitung bei Veranstaltungen vor Ort geboten werden. Vom Infostand auf Dorffesten bis hin zur Gegendemonstration beim Naziaufmarsch in der Großstadt.

Von den St. Pauli-Fans wird zudem das Antira-Turnier organisiert, ein Einladungsturnier für antirassistische Fangruppierungen, das früher jährlich, nun alle zwei Jahre (alternierend mit anderen Austragungsorten), auf dem St. Pauli-Trainingsgelände stattfindet.

Seit November 2011 gibt es eine Marathonabteilung mit breitensportlicher Ausrichtung. Die erste öffentliche Aktion der Abteilung war ein Volkslauf "St. Pauli läuft gegen rechts" um die Außenalster mit 1.400 Teilnehmern am 2. Juni 2012


Zurück zum Fußball mit ein paar Anekdoten aus der Geschichte:

- Zum FC St. Pauli kam vor der Saison 1963/64 Guy Acolatse aus Togo ans Millerntor. Acolatse war der erste Spieler schwarzer Hautfarbe aus Afrika im bezahlten deutschen Fußball.
- Am 6. Februar 2002 gewann der FC St. Pauli überraschend als Tabellenletzter der 1. Bundesliga mit 2:1 gegen den FC Bayern München, woraufhin vom FC St. Pauli T-Shirts mit dem Aufdruck "Weltpokalsiegerbesieger“ auf der Vorderseite und den Namen der Spieler auf der Rückseite angefertigt wurden. Hintergrund war, dass der FC Bayern wenige Wochen zuvor den Weltpokal gewonnen hatte.
- Dass heute der FC St. Pauli noch im bezahlten Fußball anzutreffen ist, hat er auch der „Retterkampagne“ der Fans zu verdanken. Im Jahr 2003 gelang es Anhängern und Verein im Jahr 2003 innerhalb von nur drei Monaten gemeinsam weit mehr als die benötigten 1,95 Millionen Euro aufzutreiben. Einige Beispiele der durchgeführten Aktionen, welche allesamt unter dem Motto „Rettet den FC St. Pauli“ standen:
• Verkauf von über 140.000 „Retter“-T-Shirts (Nettoerlös: rund 900.000 EUR)
• ein Benefizspiel unter dem Motto „Weltpokalsiegerbesieger gegen Weltpokalsieger“ gegen den FC Bayern München, der auf Gage und Kostenerstattung verzichtete, im Millerntorstadion (270.000 EUR)
• Bargeldspenden von über 200.000 EUR
• Bieraktionen „Astra trinken – St. Pauli retten“ (1 Euro pro Astrakasten, über 120.000 EUR) sowie „Saufen für St. Pauli“ (die Kiez-Kneipen kassierten je ausgeschenktem Bier 50 Cent Soliaufschlag) brachten weitere 20.000 EUR ein
• Dauerkartenverkauf; während der Retterkampagne, als die Ligazugehörigkeit noch ungeklärt war, wurden 11.700 Dauerkarten verkauft.

Ebenso Kult wie der Verein ist auch der derzeitige Trainer: Ewald Lienen

Am 14. August 1981 erlitt Lienen als Spieler von Arminia Bielefeld eine schwere Verletzung, als Norbert Siegmann von Werder Bremen ihm mit den Stollen den Oberschenkel aufschlitzte und eine 25 cm lange, tiefe Risswunde zufügte. Das Foto geht mir noch heute nicht aus dem Kopf.
Lienen galt als Studierter, als Linker und DKP-nah, denn er engagierte sich während der frühen 1980er Jahre in der Friedensbewegung und wirkte bei der Friedensliste mit, für die er 1985 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen kandidierte. 1987 gründete er zusammen mit Spielerkollegen die Spielergewerkschaft Vereinigung der Vertragsfußballspieler e. V. (VdV).
Auch ist Ewald Lienen einer der wenigen Trainer, für den mehrere Lieder aufgenommen wurden
Nachdem Lienen den 1. FC Köln in der Saison 1999/2000 zum Aufstieg von der 2. Bundesliga in die 1. Bundesliga geführt hatte, veröffentlichte die Kölner A-cappella-Gruppe Wise Guys das Lied
"Die Heldensage vom heiligen Ewald"
Einer hat uns aus dem Leid - Ewald Lienen
und der Sklaverei befreit - Ewald Lienen
Der FC war mausetot - Ewald Lienen
da kam der Retter in der Not - Ewald Lienen
Führt uns ins Gelobte Land - Ewald Lienen
das die Väter einst gekannt - Ewald Lienen
Ward im Blauen Hemd gebor'n - Ewald Lienen
Uns zum Heiland auserkor'n - Ewald Lienen
Bis wir wieder oben steh'n - Ewald Lienen
lassen wir ihn nicht mehr geh'n - Ewald Lienen

Und nach der Rettung des FC St. Pauli vor dem Abstieg in der Saison 2014/15 wurde Lienen von der Gruppe “Fettes Brot“ besungen: Hier zu hören


Zum Spiel:
Viel Veranlassung die Aufstellung zu ändern wird Frank Schmidt nicht haben. Ich denke, dass für die rechte Abwehrseite eventuell wieder Philp zum Einsatz kommen könnte. Auch hoffe ich, dass Leipertz wieder von Anfang an spielen wird.
Prognose?
St. Pauli hatte zwei Tage weniger Pause nach dem Spiel gegen Braunschweig. Ob das ein Vorteil ist? Ich tue mir schwer…
Mein Tipp:
Der FCH wird auch in dieser Saison den ersten Auswärtsdreier in Hamburg holen: 0:1
This contribution was last edited by vfb4ever on Sep 21, 2015 at 9:11 AM hours